13. Mai 2024

Kennst du Menschen mit Sehbehinderung (persönlich)?

Ich kenne einen - Mehmet Abi. („Abi“ ist türkisch und eine respektvolle Anrede für ältere Männer.)

Mehmet Abi und ich sind uns das erste Mal zufällig auf dem Weg zur Arbeit am Bahnsteig begegnet. Beim Einsteigen bot ich ihm meine Hilfe an. Er bedankte sich und wir setzten uns auf verschiedene Plätze.

Ein paar Tage später traf ich ihn wieder und bot ihm erneut an zu helfen. Wieder nahm er dankend an, nur diesmal fragte ich ihn, ob ich mich zu ihm setzen dürfe und wir kamen ins Gespräch. Der übliche Smalltalk eben.

Bis zu unserem dritten Treffen vergingen einige Wochen. Wir freuten uns beide über das Wiedersehen, denn unser Umgangston war inzwischen herzlicher geworden. Diesmal sprachen wir über tiefgründigere Themen. Ich erfuhr, wann er sein Augenlicht verloren hatte und wie sich das auf seinen Alltag auswirkte (oder auch nicht auswirkte).

Mehmet Abi ist Telefonist. Jeden Morgen fährt er mit dem Zug in die Stadt, setzt sich für vier bis fünf Stunden in sein Büro und arbeitet. Ich erinnere mich, wie beeindruckt ich war, als er mir das so locker erzählte.

Mir fiel auf, dass er sein Telefon auf eine ganz besondere Weise benutzte. Er hielt es schräg ans Ohr und tippte mit den Fingerspitzen in verschiedenen Rhythmen auf das Display. Zweimal, dreimal, wieder zweimal, dann einmal und so weiter. Ich fragte ihn, was das zu bedeuten habe, und er erklärte mir, dass dies die blindengerechte Bedienfunktion des iPhones sei.

Das brachte mich dazu, ihm von meinem Beruf als Webentwickler zu erzählen. Ich fragte ihn, ob und wie er Webseiten in seinem Alltag nutzt und was er sich von Entwicklern wünschen würde, um seine Nutzererfahrung zu verbessern.

Seine Antwort war: „Ja, ich surfe regelmäßig im Internet. Bitte achtet immer darauf, dass jedes Bild eine Beschreibung hat. Es ist ärgerlich, wenn dort ein Bild ist, aber man nicht weiß, was es darstellen soll.“

Plötzlich fühlte ich mich sehr verantwortlich. Da saß ein Mensch vor mir, der darauf angewiesen war, die Alternativtexte zu den Bildern auf den von uns erstellten Webseiten zu hören. Texte, die wir Sehenden leider oft als nebensächlich betrachten. Ich habe zwar immer auf eine saubere Umsetzung von A11y (Barrierefreiheit) geachtet, konnte mich aber nie so richtig in die Lage der Menschen versetzen, die darauf angewiesen sind. Das hat sich von da an geändert.

Seitdem ist A11y im Web eine Herzensangelegenheit für mich. Jedes Mal, wenn ich einen Alt-Text schreibe, denke ich an Mehmet Abi und versuche, seinem Wunsch gerecht zu werden.

Es gibt Begegnungen im Leben, die dich nachhaltig prägen. Dies war eine davon.

💡 Gut zu wissen:
„A11y“ steht für „Accessibility“ (Barrierefreiheit). Es ist ein Numeronym, wobei 11 für die Anzahl der Buchstaben zwischen dem Buchstaben A und dem Buchstaben y steht.

Wie denkst du über Barrierefreiheit im Web? Kennst du auch Menschen, die darauf angewiesen sind? Ich freue mich über einen Austausch.

Ein Zitat von Mehmet aus dem Artikel.

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